von Ronja
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir betonen immer wieder, dass die immense Nachfrage nach Prostitution erst die Ausbeutung und das Leid verursacht. Deshalb nehmen wir hinter dem heutigen Türchen vier der klassischen Aussagen von Freiern unter die Lupe, mit denen sie ihr Tun vermeintlich rechtfertigen.
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Freier – denk doch mal nach!
Autorin: RonjaHallo Du. Ich meine Dich, der Prostitution in Anspruch nimmt. Dich, Freier!
Ich möchte heute auf einige typische Ausreden von Männern wie Dir reagieren, die Ihr bringt, um Euer Tun zu rechtfertigen.
Einige Aussagen habe ich von Männern wie Dir selbst bei Treffen in der Prostitution gehört. Andere lese ich immer wieder in den Foren, in denen Ihr Euch austauscht.
Fangen wir mal an:
1. Das ist doch nur eine normale Dienstleistung!
Ach so. Dann ist es auch normal, Menschen in Dienstleistungsberufen nach „Teeny-Körper“, großen Brüsten oder dass sie möglichst „eng“ sind, auszusuchen und zu bewerten?
Dann ist es normal, eine Dienstleistungen auf einer öffentlichen Toilette voller Kot, gebrauchten Kondomen und Spritzen in Anspruch zu nehmen, wie es z.B. in den „Verrichtungsboxen“ rund um den Berliner Straßenstrich passiert?
Dann wäre es für Dich auch vorstellbar, Dich tagtäglich selbst oral und anal von Fremden penetrieren zu lassen, wenn der Arbeitsmarkt gerade nichts anderes hergibt, aber Du dringend auf einen Job angewiesen bist?
Dann fändest Du es gut, wenn Deine Frau oder Deine Tochter diesen Weg einschlagen will?
Stell dir all diese Fragen, wenn Du Deinem Gewissen das nächste Mal sagst, dass Du ja nur eine Dienstleistung in Anspruch nimmst!
2. Aber ich habe doch Bedürfnisse!
Schön für Dich! Wir Frauen in der Prostitution haben auch Bedürfnisse. Zum Beispiel das, uns nicht bei jedem Treffen in Lebensgefahr zu begeben (dass es aber so ist, zeigen die vielen M*rde an Frauen in der Prostitution). Oder das Bedürfnis nach Würde und nach Grenzen. Die müssen oder mussten wir aber regelmäßig ignorieren und betäuben, um Deine Körperflüssigkeiten auf unserer Haut, Deine brutalen Griffe oder Dein grausam langsames Streicheln und Deine Finger und Deinen Schw*nz in all unseren Körperöffnungen ertragen zu können.
Und welche Bedürfnisse hast Du denn?
Das nach einem Samenerguss will Dir doch niemand wegnehmen! Falls Du keine Frau hast oder findest, die einvernehmlichen Sex mit Dir möchte, gibt es immer noch die Selbstbefriedigung.
Und eine „liebevolle Berührung“ oder gar die „guten Gespräche“ wegen denen ihr angeblich in Wirklichkeit so oft zu uns kommt (wir können aus der Praxis jedoch sagen: das sucht Ihr in Wirklichkeit so gut wie nie!)? Das liegt nicht in der Verantwortlichkeit einer fremden Frau, die das eigentlich gar nicht mit Euch erleben will!
Aber all das gibt es im Privaten, dazu braucht es noch nicht einmal eine romantische Beziehung, sondern einfach gute Freunde. Dafür müsstet ihr nur minimal bereit sein, selbst empathisch mit Eurem Umfeld zu interagieren und den Anspruch „Nur Nehmen statt Geben“, überdenken und aufgeben.
Und wenn Eure Frau Eure „Bedürfnisse“ nicht erfüllt, denn darüber klagt Ihr ja so oft, dann überlege doch mal, warum.
Hast Du vor lauter Porno-beeinflusster Fantasie überhaupt einen Zugang zu Sexualität, die auf Augenhöhe stattfindet?
Nimmst Du die Bedürfnisse Deiner Frau oder Freundin überhaupt wahr?
Wäre im Zweifel eine Trennung sinnvoll?
Investiere doch mal Zeit in diese Fragen und mögliche Konsequenzen für Dein Verhalten, statt sie stumpf beim Bordellbesuch auszublenden und Dich aus der Verantwortung zu nehmen!
Und wenn alles nichts hilft und du privat gerade niemanden dafür treffen kannst – dann leb halt verdammt nochmal ohne Sex mit einem anderen Menschen!
Ich tue es seit Jahren, viele andere Frauen und auch viele deiner Geschlechtsgenossen tun es auch! Und ich bin noch nicht dran gestorben, geplatzt oder habe den nächstbesten Mann in einer Tiefgarage angefallen, weil meine „Bedürfnisse“ es so wollten.
Körperliche Intimität und eine erfüllende gemeinsame Sexualität bereichert für viele das Leben, ja. Aber all das ist ein Geschenk, das sich zwei Menschen konsensuell machen können und wenn man das gerade nicht bekommt, kann das Leben trotzdem ausgefüllt und glücklich sein.
Es ist nicht dein Recht, es einseitig einzufordern weil Du zu faul bist, deine „Bedürfnisse“ durch Selbstbefriedigung abzuleiten, Anstrengungsbereitschaft dafür aufzubringen, dass jemand freiwillig mit dir ins Bett geht oder einfach mal abstinent zu leben!
Es ist nicht dein Recht, es einseitig einzufordern, weil die Gesellschaft Dir ein Leben lang eingeredet hat, dass „ein echter Mann Bedürfnisse hat“ und dass Prostitution eine gute Antwort darauf wäre.
Lies doch lieber mal ein gutes Buch zu Themen wie Rollenbildern oder toxischer Männlichkeit statt das nächste Mal ins Bordell zu gehen, weil Du meinst, dass Dein „Bedürfnis“ ruft.
3. Ich achte darauf, keine Opfer von Menschenhandel und Not zu buchen!
Hier wird es interessant, denn das hören wir so oft wie verschiedene Maßnahmen, mit denen Ihr das angeblich ausschließen könnt.
Glaubt uns – das Opfer von Menschenhandel oder ihrem Loverboy wird euch nicht sagen, dass sie halb t*tgeprügelt werden könnte, wenn am Ende des Tages die Einnahmen nicht stimmen.
Dafür sitzt die Angst davor viel zu tief, dass auch Ihr Handlanger sein könntet, dass sie keine Empathie und Hilfe von einem Freier erwarten kann und dass Hilfe eh zu spät kommen würde weil der Zuhälter Zugriff auf sie bekommt, ehe sich irgendjemand, den Du vielleicht anrufen kannst, mal in Bewegung setzt.
Interessant wird hier, welche Widersprüche ich von Männern wie Dir schon gehört habe.
Manche sagten mir, sie buchen NUR „Professionelle“, weil sie da Ausbeutung angeblich ausschließen können. Die Unprofessionellen hätten alle einen fiesen Kerl im Rücken.
Andere sagten mir, dass sie nur die „nicht so Professionellen“ buchen, weil die „Professionellen“ alle einen Kerl im Auto vor der Tür warten haben, der ihnen das Geld abnimmt.
Also was soll es nun sein? Weißt Du jetzt auch nicht, oder?
Und hier sieht man: Ihr legt Euch diese Argumente so zurecht, wie es gerade passt, damit Ihr bloß kein schlechtes Gewissen bekommen müsst.
Ich wurde von Typen wie Dir übrigens auch gern gebucht, weil Ihr mir „Spaß an der Sache“ angemerkt hättet – statt Not und dass ich dringend Geld bräuchte.
Die Wahrheit ist: jeder Termin war eine Überwindung und hat Schaden angerichtet, und natürlich habe ich keinem von Euch gesagt, dass ich z.B. nicht mal mehr krankenversichert war, dass ich wohnungslos war oder dass ich nichts weiter Essbares mehr als ein paar angegammelte Zwiebeln im Schrank habe. Das kam alles genau so vor!
Und Ihr habt mir stolz wie Bolle gesagt, dass Ihr „eine wie mich“ bucht, weil Ihr so gütig seid und eine wollt, die Spaß an der Sache hat und keine Not leiden würde! Merkt man doch!
NEIN!
Die meisten von uns haben bereits vor der Prostitution schwere Gewalt, oft auch sexualisierte, überlebt. Wir wurden unfreiwillig Meisterinnen darin, zu maskieren, wie es uns geht, zu lügen (z.B. schon in der Schule, wenn Lehrer nach blauen Flecken fragten und einem eingebläut war, dass jedes „Geständnis“ nach außen eine noch schlimmere Hölle bedeutet) und uns von unserer wahren Gefühlswelt abzuspalten um im Außen zu funktionieren und schlimme Situationen zu überstehen.
Beschäftige Dich mal mit dem Zusammenhang zwischen Trauma und Prostitution bevor Du nächstes Mal mit reinem Gewissen behauptest, dass die Frau, die du buchen willst, garantiert kein Opfer war und ist.
4. Okay, sie wird vielleicht ausgebeutet oder gezwungen. Aber wenn ich nicht zu ihr gehe, dann tun es andere. Mein Verhalten ändert daran auch nichts!
Hier haben wir das Argument schlechthin, mit denen sich der Mensch vor allen möglichen Verantwortungen freispricht. Das sieht man ja auch bei Themen wie Wahlen, Klima, Konsumverhalten usw. usf.
„Wenn alle es tun, kann ich nichts ändern und mach den Kohl auch nicht mehr fett!“?
Nein! Diese Ausrede ist so billig wie sie falsch ist.
Denn wenn alle so denken, wird sich tatsächlich nichts ändern. Aber wer seine Prinzipien nicht verrät „weil es ja eh keinen Unterschied macht“, kann zum guten Vorbild werden und irgendwann verkehren sich die Mehrheitsverhältnisse.
Und bezogen auf die Prostitution und des Arguments „Mein Verhalten ändert daran auch nichts!“
Doch! Genau DU kannst dazu beitragen, dass die Nachfrage sinkt. Und genauso der Freier, den sie vorher und der, den sie nach dir hätte. Es liegt bei JEDEM von Euch. Und auch, wenn die Nachfrage durch das Aufwachen von einzelnen Männern wie Dir nur langsam zurückgehen wird: je mehr sie es tut, je unattraktiver wird der Markt für die Profiteure. Und eine Frau weniger wird bald aus Osteuropa mit falschen Job-Versprechen hierher gelockt und ohne Pass auf den Straßenstrich geschickt. Und eine Frau weniger wird bald von einem sogenannten Loverboy verführt und in einer psychischen Abhängigkeit von ihm ins Bordell geschubst. Und eine Frau weniger wird bald nach einer traumatischen Kindheit und Jugend denken, dass sie zumindest für diese harmlos klingende „Sexarbeit“ gut genug ist und stattdessen hoffentlich frühzeitiger traumatherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Es geht nicht darum, was alle anderen machen. Es geht um DEIN Verhalten, DEINE Entscheidungen und DEINEN Beitrag daran, dass Frauen und Mädchen durch die Hölle gehen – oder eben nicht.
Und statt das nächste Mal am Straßenstrich zu halten und Deine Verantwortung auf all die anderen Freier abzuwälzen indem Du Dir sagst: „Wenn es alle tun, dann kann ich doch auch.“, denk vielleicht an einen anderen Spruch, den ich so und in Abwandlungen noch aus meiner Kindheit kenne: „Wenn alle anderen aus dem Fenster springen, springst Du hinterher?“
Oder, abgewandelt für unsere Situation: „Wenn alle anderen Kerle Frauen aus dem Fenster stoßen – willst Du das auch?“
Du siehst: keine Deiner Ausreden für Dein Handeln taugt was.
Und Ausbeutung und Leid bleiben „lukrativ“, weil so Typen wie Du die Nachfrage schaffen – egal, wie schön und harmlos Ihr Euch das redet!
Sei kein Freier!
Sondern denk mal nach und entscheide Dich für Menschlichkeit!© Ronja - 2023
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