von Ronja
Am Gründonnerstag war es wieder soweit: wie jedes Jahr zu Ostern und Weihnachten war ich für das Netzwerk Ella gemeinsam mit Neustart e.V. und SISTERS e.V. Berlin auf dem Berliner Straßenstrich rund um die Kurfürstenstraße unterwegs.
Wir beschenkten die Frauen mit Schokolade und jeweils einem Lebensmittel- und Drogerie-Gutschein, damit sie mit ein bisschen weniger finanzieller Not in die Osterfeiertage gehen können.
Wie immer hatten wir Gutscheine für insgesamt 40 Frauen dabei – und zum ersten Mal in all den Jahren, seitdem ich dabei bin, wurden wir diese Anzahl nicht nur in gerade einmal einer Stunde los, sondern wir hätten sogar ein paar mehr Gutscheine gebraucht!
Es war also schlimm, dass einige der Frauen, die uns ganz am Ende noch hoffnungsvoll angesprochen haben, leer ausgegangen sind.
Ebenso schlimm war es auch wieder zu sehen, dass einige der Frauen keine andere Möglichkeit haben als mitten auf der Straße zu schlafen, körperlich und mental von diesem Leben auf der Straße und der Notwendigkeit, Freier für ein paar Euro zu bedienen, gezeichnet sind, uns hier und da mutmaßliche Zuhälter entspannt von einem Café-Tisch aus im Auge behalten haben (und ein paar wenige Frauen wohl von ihnen instruiert waren, unsere Geschenke nicht anzunehmen) und uns die verdreckten „Verrichtungsboxen“ und benutzte Kondome mitten auf dem Gehweg vor Augen führten, wie die Lebensrealität der Frauen dort tagtäglich aussieht.
An der Ecke, an der am 11. März eine Frau mutmaßlich von ihrem Zuhälter schwerst mit einer Eisenstange verletzt wurde, kamen wir auch vorbei.
Und bei all dem musste ich dann an die Worte im Koalitionsvertrag denken: „Im Lichte der Evaluationsergebnisse zum Prostituiertenschutzgesetz werden wir mit Unterstützung einer unabhängigen Experten-Kommission bei Bedarf nachbessern.“
All die PolitikerInnen, die das zu verantworten haben, müssen blind für die Realität sein, denn die Realität zeigt keinen doch noch recht harmlos klingenden „Bedarf“ und braucht keine „Nachbesserung“. Die Realität schreit stumm um Hilfe, jeden Tag seit so vielen Jahren an so vielen Straßenstrichen und in so vielen Prostitutionsstätten im ganzen Land und braucht ein radikales Umdenken in der Prostitutionspolitik, umfangreiche Ausstiegshilfen und vor allem eine Politik, die endlich die Sexkäufer und ihre zerstörerische Anspruchshaltung zur Verantwortung zieht! (An dieser Stelle der Hinweis auf unsere Petition mit der dringenden Bitte, zu unterzeichnen und zu teilen, sofern ihr das noch nicht getan habt:
http://openpetition.de/nordischesmodell/)
Und trotzdem habe ich diese Aktion wieder von Herzen gern mitgemacht – obwohl ich ja nach dem letzten Weihnachtseinsatz hier ganz groß meinen Abschied von den Berliner Aktionen angekündigt hatte! Aber diese Aktionen lassen mich nicht los und so setze ich mich nun auch für ein paar Stunden in den Zug um weiterhin dabei zu sein.
Denn es gab auch wieder Lichtblicke. Eine Frau, der wir uns näherten, aber dann schon fast weiter laufen wollten, weil gerade ein mutmaßlicher Freier, offenbar ein Lieferdienst-Fahrer, der in der Mittagspause wenige Euros aus seinem letzten Trinkgeld dazu nutzen wollte, die Not an der Kurfürstenstraße für einen Quickie auszunutzen, näherte.
Aber die Frau hatte uns schon gesehen und den Typen knallhart abgewiesen und lieber unsere Gutscheine angenommen.
Mir ist klar, dass wir den Alltag der Frauen mit diesen Aktionen nicht sofort nachhaltig ändern können. Aber wenn sie dadurch auch nur ein oder zwei Freier weniger über sich ergehen lassen müssen und sehen, dass sie von uns nicht (so wie von der Politik..) ganz vergessen sind... aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass selbst das manchmal die Welt bedeuten kann und ganz vielleicht langfristig doch dazu beiträgt, irgendwann die Kraft und den Mut aufzubringen, um das Milieu vielleicht doch eines Tages zu verlassen.
Außerdem berührt mich immer so sehr, dass wir trotz allem mit einigen der Frauen herzlich lachen konnten und dass einfach so viel Wärme und Menschlichkeit zu spüren ist – trotz allem, trotz diesem harten Leben voller Nöte, Prostitution und der ständigen Gefahr, Gewalt durch Freier oder Zuhälter zu erleben.
Und dafür, dass ich all das bei jeder unseren Aktionen auch erleben und spüren darf, bin ich unglaublich dankbar.
Deshalb beende ich diesen Bericht auch vorsorglich nicht nochmal damit, dass ich mich ja aus Berlin verabschiedet habe. ;)
Herzlichen Dank an alle, die durch ihre Spenden diese Aktionen weiterhin möglich machen!
Frohe Ostertage!
Ronja
© Netzwerk Ella - 2025
