Heute mit einem persönlichen Text:
Respekt?! Wie ein kurzer Satz alles änderte.
Autorin: Ronja
„Wenn ich das hier weitermache, dann verliere ich komplett den Respekt vor allen Männern auf der Welt!“
Dieser Satz, den ich im Spätsommer 2017 dachte, nachdem ich gerade von einem Stamm-Freier kam, war für mich der Schlüsselmoment, der meinen endgültigen Ausstieg wenige Wochen später besiegelte.
Und rückblickend kam er mir lange so banal vor im Vergleich zu Momenten, die andere Frauen dazu brachten, mit den letzten Kräften für ein Herauskommen aus der Prostitution zu kämpfen: tätliche Übergriffe (über den Akt der Prostitution hinaus), Stalking, überlebte M*rdversuche, organisierte Kriminalität im Hintergrund und mehr...
Ich, Pseudo-Escort, die seit elf Jahren immer wieder in die Prostitution gegangen ist und all diese Jahre lang auch an ihre Tätigkeit als selbstbestimmte Sexworkerin und die angeblich guten und nötigen Seiten der Prostitution geglaubt hatte (glauben musste!), stand dem gegenüber mit meinem banalen Gedanken an Respekt gegenüber Männern.
Eigentlich arm.
Dachte ich dann ein paar Jahre lang.
Aber eigentlich stimmt das absolut nicht! Es war kein banaler Gedanke und war ja nicht ohne Grund der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
Denn schon in der Zeit vorher wuchs ja meine Abneigung gegen das, was ich da mache. Vor allem, da ich endlich therapeutisch aufgrund meiner Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend die RICHTIGE Begleitung hatte. In Therapien war ich vorher schon jahrelang, aber da wurden wahlweise depressive Phasen, Essstörung oder Panikattacken gesehen und behandelt (und, machen wir uns nichts vor: selbst viele der heute pro-sexwork-aktivistisch tätigen „Sexworkerinnen“ sprechen ja teilweise ganz offen drüber, dass es bei ihnen ähnlich hinsichtlich Historie der mentalen Gesundheit aussieht) und ich hätte mich in all diesen Jahren aber auch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, wenn jemand behauptet hätte, meine freiwillige „Sexarbeit“ hätte mit all dem irgendwas zu tun (auch hier ein Muster, das man bei den heute pro-sexwork-Aktiven sehr genau erkennt) – erst 2015 habe ich endlich die Diagnose kPTBS bekommen und eine großartige Psychiaterin an meiner Seite und seitdem ging es bei mir psychisch bergauf und damit meine Toleranz gegenüber Treffen mit Freiern quasi proportional bergab. Dennoch hab ich Prostitution an sich weiterhin für richtig und selbstbestimmt möglich und unproblematisch gehalten.
Bis zu diesem Tag im Spätsommer 2017.
„Wenn ich das hier weitermache, dann verliere ich komplett den Respekt vor allen Männern auf der Welt!“
Dabei kam ich von einem Stamm-Freier, den ich, so redete ich mir ein, sogar ziemlich mochte. Es ging soweit, dass wir uns zwischen den Treffen Bücher und CDs geliehen haben. Aber vielleicht war genau das sogar gut und nötig - genau dieses Setting mit so einem Stamm-Freier - damit ich in diesem Moment als ich auf dem Heimweg war, alles blicken konnte. Potenziert in diesem einen Satz, der meinen Ausstieg besiegeln sollte.
Denn so nett und freundschaftlich alles war, oder eher gerade deshalb; er wusste ja inzwischen viel von mir, denn wir redeten viel über seine, aber irgendwann eben auch meine Nöte. Und die waren, dass MUSS er auch verstanden haben, ja schlussendlich doch der einzige Grund, warum ich tat, was ich tat. Er gab sich verständnisvoll und zollte mir vermeintlich Respekt für meine selbstbestimmte Herangehensweise.
Aber er kannte ja irgendwann auch meine Krankheitsgeschichte, meine Not, wenn mich Schulden aus den ganz schlimmen Zeiten meines Lebens nochmal eingeholt haben, meine Angst, am Ende des Monats kein Treffen mehr organisieren und mir kein Essen mehr kaufen zu können.
Und so ein Treffen war unser letztes. Ich hatte ihn außerhalb unseres „Rhythmus“ angeschrieben, weil ich es an solchen Tagen lieber erstmal bei meinen „Stammis“ versuchte statt mich auf ganz neue Freier einzulassen.
Mir ging es an dem Tag echt nicht gut, der finanzielle Druck war hoch. Und über all das haben wir auch gesprochen und es fühlte sich fast echt wie bei einer Freundschaft an.
Fast.
Bis zu dem Moment, an dem er dann natürlich zwangsläufig die Hose runter gelassen hat.
Natürlich.
War ja auch der Deal, eh.
Und trotzdem hatte mich das an diesem Tag mehr mitgenommen als jemals zuvor.
„Wenn ich das hier weitermache, dann verliere ich komplett den Respekt vor allen Männern auf der Welt!“
Das war meine gedankliche Reaktion auf dem Heimweg.
Wenige Monate vorher hatte ich schon einen Stamm-Freier fallen gelassen. Bestimmten Stammis hab ich auch immer mal gesagt, dass ich überlege, einen anderen Nebenjob zu machen, aber es halt diese und diese Einschränkungen bei mir gibt, die die Suche fast unmöglich machen. Dieser frühere Stamm-Freier meinte dann zu mir, dass er eine neue Putzkraft für seine Wohnung und Büro sucht, ob ich mir das nicht vorstellen könnte? Immerhin kennen wir uns und er könnte da durchaus Rücksicht nehmen auf meine Einschränkungen nehmen. Klang erstmal okay und ich hatte echt überlegt. Aber dann kam in diesem Gespräch plötzlich: „Also dann kein Sex mehr, aber ich würde schon erwarten, dass du nackt putzt!“
Auch das hatte mich damals mehr schockiert, als es vielleicht sollte. Weil ich damals eben noch glauben wollte, dass Freier hier nicht das Problem wären!
Ein anderer Stamm-Freier in dieser letzten Zeit war der Geschäftsführer eines Trägers mehrerer Kindergärten, bei dem ich für den Akt immer auf den Tischen im Besprechungsraum der Geschäftsstelle lag und mir dabei die Kastanien-Basteleien der Kinder aus den Kindergärten angeschaut habe... Oder der Typ, dem ich nebenbei ausreden musste, seine Nachbarin weiterhin zu stalken (er dachte, Frauen fänden es bestimmt ganz toll, wenn man ihnen creepy gebastelte Püppchen und wirklich creepy Gedichte an die Windschutzscheibe hängt ohne sich aber zu erkennen zu geben weil die Frau ihre wahre Liebe durch die creepy Worte ja magisch in dem Nachbarn, mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hat, erkennen müsste).
Oder der sehr junge Familienvater, dessen unwissende Frau samt zwei kleinen Kindern gerade auf dem Spielplatz um die Ecke waren, als er mich in die Wohnung orderte (er erzählite mir das um zu erklären, warum wir uns beeilen müssen).
Und dann eben mein „Kumpel-Typ“-Freier mit den Büchern und CDs und angeblich so viel Verständnis für jede Notsituation in meinem Leben, der mich „als Mensch und Freundin“ auch „wirklich mag“ - aber sein Portemonnaie auch nur öffnete, wenn vorher meine Körperöffnungen verfügbar waren.
„Wenn ich das hier weitermache, dann verliere ich komplett den Respekt vor allen Männern auf der Welt!“
Es war auf ein Mal so deutlich, so glasklar.
Und ich rede hier eben nicht mal von den Typen, die schlimmste Ausbeutungssituationen gezielt suchen oder abscheuliche Sachen in Freier-Foren schreiben, sondern über die, die angeblich diese „netten, gebildeten und solventen Freier“ sind.
Waren meine ja auch, irgendwie.
Da hatte ich elf Jahre lang wirklich mehr Glück als Verstand. Aber dieses mehr oder weniger unterschwellige Bild über Prostitution und Frauen wie mich und Frauen an sich... in elf Jahren geht dir das dann doch unter die Haut und führt zu diesem gedanklichen Satz.
Trotzdem fand ich diesen Satz im Nachhinein als meine finale Ausstiegsmotivation so banal!
Doch das war er noch aus einem anderen Grund nicht: noch ein paar Jahre früher, als ich „Sexarbeit“ eben noch gar nicht hinterfragen wollte und konnte, hätte ich bei diesem finalen Clash zwischen meiner vermeintlich abgeklärten, sexpositiven Haltung und dem wachsenden Widerwillen gegen Treffen mit Freiern eher gedacht: „Wenn ich das hier weitermache, dann verliere ich komplett den Respekt vor MIR SELBST!“
Aber glücklicherweise war ich irgendwo tief in mir drin im Spätsommer 2017 schon so weit, dass ich all die Verachtung der Freier auf Frauen wie mich nicht mehr auf mich selbst projizieren musste (was nicht selbstverständlich ist, da es einfach schon Muster aus meiner Kindheit und Jugend gewesen wäre), sondern einfach direkt auf diejenigen, die sie eigentlich verdienen!
Von daher war dieser Satz gar nicht banal oder peinlich als finaler Ausstiegsantrieb. Sondern sehr logisch und richtig.
Und ich wünschte, ich wäre Jahre vorher schon so weit gewesen...
Und übrigens: Ja, der Ausstieg kam, zumindest nur rein dahingehend, noch im richtigen Moment. Ich kann heute durchaus auch noch Respekt gegenüber männlichen Personen aufbringen ;) Allerdings wirklich vollumfänglich erst, sobald ich erfahre, dass sie Prostitution ablehnen...
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