von Ronja
Disclaimer vorab:
Ich bin absolut keine Gegnerin von allem, dem man den Stempel „Pharma“ aufdrücken kann. Ich bin selbst auf mehrere tägliche Medikamente angewiesen und bin dankbar für den heutigen Stand der medizinischen Forschung und ihre Möglichkeiten! Auch denke ich, dass die im folgenden Text erwähnte Antibabypille ein wichtiger Meilenstein war und unter bestimmten Voraussetzungen heute noch für viele Frauen ein Segen sein kann, um selbstbestimmt(er) zu agieren.
Und auch PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe – medikamentöse Maßnahme um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen), um das es hier vordergründig geht, mag sicherlich für einige Menschen eine Erleichterung und Sicherheit darstellen!
Aber mir geht es um den, für mich, nahezu bösartig anmutenden Diskurs um PrEP, dem ich tatsächlich schon seit einigen Jahren immer mal wieder begegne. Da wird PrEP als normale „Arbeitsschutzmaßnahme“ angepriesen – aber zu welchem Preis?
Ergänzung:
Bei Instagram gab es einen aufmerksamen Kommentar, der darauf hingewiesen hat, dass ein falsches Sicherheitsgefühl durch PrEP und dadurch evt. nachlässigerem Umgang mit Kondomen (auch aus Druck durch die Freier...) auch die Verbreitung anderer sexuell übertragbarer Krankheiten begünstigt!
Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt, den ich beim Schreiben wirklich vergessen hatte. Dabei habe ich sogar schon die Begründung früher gehört, dass ja v.a. HIV-Prävention wichtig sei, da die anderen typischen Erkrankungen durch ungeschützten Sex ja nicht so "gefährlich" und gut behandelbar wären.
Allerdings ist das so tückisch, da manche diese Erkrankungen ja auch (länger) symptomfrei ablaufen können, dabei aber trotzdem nachhaltigen Schaden, z.B. Unfruchtbarkeit anrichten können und bei weiterem ungeschützten Verkehr auch weiter verbreitet werden. Diese falsche Sicherheit ist also wirklich fatal und auch gesundheitsgefährdend!
*****
PrEP in der Debatte um Schutzmaßnahmen in der Prostitution
Autorin: Ronja
Mich hat es schon seit einigen Jahren sehr irritiert, dass ich von Sexworkern (als Eigenbezeichnung), die in eher privilegiertem Rahmen in der Prostitution sind ( =höherpreisiges Segment, Zugang zu krankenversicherter Gesundheitsversorgung und finanzielle Möglichkeiten, auch Privatrezepte zu zahlen) immer mal wieder höre: „Nimm doch einfach PrEP!“
Gut, vielleicht hat mich das schon immer besonders irritiert, weil ja eigentlich in der Prostitution auch die Einnahme der Pille zur Grundannahme gehört, ich jedoch, atypisch in der Prostitution, über lange Zeiten keine Pille zur Schwangerschaftsverhütung genommen habe, da bei mir sowieso schon mehrere andere Thrombose-Risikofaktoren vorliegen.
Allerdings ist das ein Risiko, denn ein Kondom kann tatsächlich doch mal reißen. Ist bei mir auch mal passiert. So musste ich damals also auf die „Pille danach“ zurückgreifen, die ja ein Nebenwirkungshammer ist!
Als ich diesen Artikel plante, habe ich auch mit einer Mitfrau im Netzwerk Ella gesprochen, die analog (zur regulären Pille) statt Dauereinnahme von PrEP nach einem gerissenen Kondom auf PEP (Postexpositionsprophylaxe) zurückgegriffen hat Doch die erlebten Nebenwirkungen (Erbrechen, Durchfall, Schüttelfrost u.a.) waren bei ihr so krass, dass sie nicht mal die nötige Einnahmedauer von PEP durchziehen konnte – auch, weil sie die Zeit nicht hatte, da sie weiter anschaffen musste.
Vor kurzem hat die Deutsche Aidshilfe die Studie: „Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?“ vorgestellt. [1] Das habe ich am Rande zur Kenntnis genommen, aber mich nicht weiter damit auseinandersetzen können.
Allerdings bin ich dann auf einen Artikel im Ärzteblatt gestolpert [2], der einen Teilaspekt der Studie, PrEP, thematisiert, und das hat bei mir einen Nerv getroffen, der einfach schon lange gereizt war.
Zwar heißt es in der Studie und im Artikel auch, dass Freier auch in die Verantwortung genommen und aufgeklärt werden müssen.
Aber, kurzer Einwurf an dieser Stelle: nein, das wird nicht hinhauen!
Ja, es gibt Freier, die von sich aus auch auf Schutz durch Kondom bestehen. Aber es gibt so viele, was auch einschlägige Foren alleinig zum Austausch über „ao“ (alles ohne = ohne Kondom) bestätigen, die gezielt ungeschützten Sex in der Prostitution nachfragen.
Deren Nachfrage wird auch nicht mit Flyern oder Stickern zum Thema verschwinden.
Im Gegenteil, wenn diese Freier annehmen, dank dieses neu entfachten Diskurses über PrEP in der Prostitution würde das langsam mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit, dass die Frau, die sie aufsuchen, nicht nur die Pille, sondern auch PrEP nimmt, könnte die Nachfrage nach ao-Sex und damit der Druck meiner Meinung nach sogar noch steigen.
Außerdem heißt es zwar auch, dass PrEP nicht allgemein empfohlen werden sollte und es Aufklärung geben müsse, jedoch heißt es im gleichen Atemzug, dass der Zugang niedrigschwellig, z.B. auch im Fall einer fehlenden Krankenversicherung, geschehen sollte.
Mir stießen PrEP-Empfehlungen eben schon seit Jahren sauer auf, ohne dass ich aber richtig informiert war. Nun habe ich aber mal die Nebenwirkungen von PrEP recherchiert. [3]
Einerseits kann PrEP die Nierenfunktion einschränken und regelmäßige Kontrollen der Niere sind daher nötig! Nun frage ich mich, ob diese Kontrollen dann auch genauso „niedrigschwellig“, insbesondere für Menschen ohne Krankenversicherung, zugänglich gemacht werden. Davon steht im Artikel, wie generell zu möglichen Nebenwirkungen, aber natürlich nichts.
Und zweitens könne PrEP zulasten der Knochendichte gehen und damit das Osteoporose-Risiko erhöhen! Für mich an dieser Stelle ein ganz rotes Tuch!
Denn gerade Frauen in der Prostitution sind dahingehend sowieso stark gefärdert.
Als ich selbst aufgrund finanzieller Not in die Prostitution gegangen bin, lag diese Not zum Teil auch an den immensen Kosten durch meine damalige Bulimie. Erst viele Jahre später sollte ich lernen, dass das bei mir kein „unglücklicher Zufall“ war. Inzwischen kenne ich so viele Frauen, noch in der Prostitution oder Überlebende, die selbst in ihrer Biografie mit Bulimie zu kämpfen hatten. Wir sind nicht alle einsame, unglückliche Zufälle. Sondern wir haben alle eine typische Biografie, die sowohl Essstörungen als auch Prostitution durch Gewalterfahrungen und Traumata hervorgebracht hat.
Außerdem geht Prostitution in vielen Fällen mit starkem Konsum einher. Tabak, Alkohol, harte Drogen... Damit korreliert häufig auch ungesunde, einseitige, unzureichende und Mängel begünstigende Ernährung.
Dann noch häufig die jahre- bis jahrzentelange Einnahme der Pille.
Bulimie oder andere Essstörungen, Konsum, Mängel an Vitaminen und Mineralstoffen, die Pille: all das lässt unser Osteoporose-Risiko eh schon in die Höhe schießen und dann soll da noch PrEP oben drauf?
Und auch hier frage ich mich: wurde darüber die Aufklärung auch mitgedacht in den Empfehlungen oder ist es einfach bequem, dass es weder das Problem von Freiern noch von den heutigen sexwork-AktivistInnen ist, wenn wir reihenweise im Alter Knochenbrüche erleiden?
Bitte versteht mich nicht falsch: wie im Disclaimer geschrieben begrüße ich natürlich Maßnahmen, die die Gesundheit schützen! Und trotzdem macht mich diese aktuelle PrEP-Berichtserstattung irgendwie fassungslos, weil ich sie unverantwortlich (ja, da ist meine Ansicht sicher kontrovers, aber ich persönlich glaube doch, dass es eher zu mehr Fahrlässigkeit durch eine gefühlte Sicherheit statt zu tatsächlichem, langanhaltenden [!] Gesundheitsschutz der prostituierten Frauen führt) und am Grundproblem völlig vorbei empfinde.
Denn: Was ist denn das bitte für ein „normaler“ „Beruf“, indem nicht nur hierzulande das Risiko, bei der Ausübung erm*rdet zu werden, höher liegt als bei der Polizei und beim Militär, sondern dann auch noch hübsch als „niedrigschwelliges Angebot“ zum eigenen Schutz verkauftes Schlucken von Medikamenten, die nun mal meist auch Nebenwirkungsrisiken bergen, begrüßt wird, obwohl die betroffenen Frauen vielleicht ohne die Notwendigkeit, sich prostituieren zu müssen, weder Pille noch PrEP gern nehmen würden?
Prostitution ist keine Dienstleistung! Denn welche andere Dienstleistung finden vor allem IM Körper statt – durch Penetration durch die Freier und auch durch sowas – und richtet dadurch dort mannigfaltige Schäden an?
Wie gesagt: ich sehe, es ist ein zweischneidiges Schwert. Gesundheitsschutz und Aufklärung derer, die auf Prostitution angewiesen sind, ist natürlich immer begrüßenswert!
Allerdings ahne ich hier, dass die Aufklärung tendenziell einseitig stattfinden wird bzw. schon stattfindet und dass auch mögliche Folgen für das Nachfrageverhalten der Freier unüberlegt mit Sätzen wie „Präventionsmaßnahmen müssten sich zudem auch an die Kunden richten, hieß es.“ weggeschoben werden.
Wir brauchen das Nordische Modell – statt „safe washing“ der Prostitution damit die Gesellschaft guten Gewissens weiter wegschauen kann!
© Ronja
Netzwerk Ella – 2024
Quellen:
Titelbild: pixabay.com/users/katicaj-3178159/
Bildbearbeitung: Ronja
[1]
https://www.aidshilfe.de/medien/md/was-brauchen-sexarbeiterinnen-fuer-ihre-gesundheit/[2]
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/150560/Fehlendes-Wissen-und-schwieriger-Zugang-zur-PrEP-in-der-Sexarbeit?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter [3]
https://www.hivandmore.de/hiv-prep/prep-faq.shtml ,
https://www.aidshilfe.de/hiv-prep/prep-checks#welche-nebenwirkungen-hat-das-prep-medikament-checks#welche-nebenwirkungen-hat-das-prep-medikament-#
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