Heute ein persönlicher Text:
Konfrontation mit Freiern nach dem Ausstieg.
Autorin: MarleneWährend meiner Zeit in der Prostitution war ich der Meinung, einen Sinn dafür entwickelt zu haben, was der Freier vor mir wollte, welche Fetische ihn anmachten und lag damit meistens richtig. Dieses Gefühl hat mich lange Zeit nach meinem Ausstieg begleitet und dazu gebracht, gewissen Männern mit Ablehnung zu begegnen, weil sie mich an einen Freier aus der Vergangenheit erinnerten.
Mit zeitlichem Abstand legte sich dieses Gefühl, ich hörte auf, Männer unterbewusst in Schubladen zu stecken.
Dann wurde ich vor einigen Wochen mit der Realität konfrontiert. Ich erfuhr, dass einer meiner Kollegen regelmäßig in der schlimmsten Bordellstraße der Stadt gesichtet wurde. Auf diese Information hätte ich gerne verzichtet, doch jetzt war sie da und mit ihr ganz viele Gefühle. Ekel, Wut, Abscheu. Aber ich musste professionell bleiben, durfte mir nichts anmerken lassen- eben das, was man im Umgang mit Freiern lernt, nur in einem anderen Kontext.
Zum Glück hatte ich mit jenem Kollegen kaum Berührungspunkte. Er arbeitete hauptsächlich an einem anderen Ort, bei Dienstreisen begegneten wir uns kaum.
Dennoch konnte ich das Bild nicht vergessen- zumal es so viel über Freier an sich verriet.
Er war hochrangiger Akademiker, der sich gerne teuer kleidete und sehr gepflegt gab. Und er ging regelmäßig in Bordelle, die dafür bekannt waren, dass dort hauptsächlich Frauen aus Bulgarien und Rumänien zum Anschaffen gezwungen wurden. In der Arbeit trat er auf als Strahlemann. Nach Feierabend vergewaltigte er Frauen gegen Geld.
Ob die Kollegen ihn wohl mit anderen Augen sehen würden, wenn sie wüssten, dass er ein Freier war? War das in Zeiten, in denen sogar Initativen FÜR Freier gegründet wurden, egal?
Wie wäre es umgekehrt, wenn sie wüssten, dass ich einmal Prostituierte war? Leider bin ich sicher, dass mein Stigma größer wäre.
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