von Jara Anouk
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Adventszeit hat begonnen und Weihnachten steht vor der Tür.
Für viele ein Fest voller Zauber und Glanz. Doch leider nicht für alle.
Jara Anouk erinnert sich an ihre Weihnachten im Milieu. Da war kein Glanz und kein Zauber – dafür Kälte und Einsamkeit. Und alle Jahre wieder Machtgehabe und Großkotzigkeit.
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Verlorener Weihnachtszauber
Autorin: Jara Anouk Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag, Ostern, Geburtstag, Weihnachten und jeder andere Feiertag - für mich war ein Tag wie der andere. Weihnachten war für meinen Zuhälter kein Grund, dass ich nicht anschaffen sollte.
Im Gegenteil: In seinen Augen blitzten die Eurozeichen angesichts der potenziell zahlreichen einsamen Männer, die sich besonders an Weihnachten nach Geborgenheit sehnen und nicht alleine sein wollen.
Wonach ich mich sehnte?
Das spielte sowieso niemals eine Rolle.
Und wo auch hätte ich hingehen sollen?
Kontakt zu meiner Familie oder Freunden hatte ich nicht mehr und auch keine eigene Wohnung.
Mein Zuhause war das Wohnungsbordell, in dem ich tätig war.
Und das sogar ganz offiziell als Meldeadresse in meinem Personalausweis.
Weihnachten und die Zeit davor hatte für mich schon längst seinen Glanz verloren.
Mehr noch: Mir graute jedes Jahr aufs Neue davor.
Denn für mich bedeutete das noch mehr Geld aufbringen als sonst, weil mein Zuhälter neben dem Geld, das ich als Prostituierte an ihn abdrücken musste, ein Weihnachtsgeschenk mit einem Wert ab 300,- € aufwärts erwartete und zwar ohne das die wöchentlichen Abgaben sanken.
Wollte ich mir keinen Ärger einhandeln, musste ich also noch mehr Freier ertragen als sonst.
Mein Zuhälter hingegen zelebrierte Weihnachten Jahr für Jahr regelrecht und spielte sich als Gönner auf.
Heiligabend stand er dann vor der Tür meines Wohnungsbordells um mir ein Geschenk zu überreichen.
Für mich jedes Mal blanker Hohn hatte ich jenes Geschenk ja sowieso quasi selber bezahlt.
Hinzu kam, dass er sich jedes Mal aufblähte, weil er wunder was für wertvolle Geschenke an seine Frauen machte und ich genau wusste, dass es sich um Fälschungen handelte.
Woher?
Einmal hatte ich eine Uhr, die er mir geschenkt hatte, zum Pfandhaus gebracht, da sein Geburtstag anstand – an dem er ebenfalls ein fettes Geschenk erwartete – und ich war einfach zu fertig, um noch mehr Freier mich benutzen zu lassen.
Da erfuhr ich dann das die Uhr eine Fälschung war wenigstens eine halbwegs gute und so erhielt ich zumindest etwas Geld dafür.
Ehrlich gesagt wirklich entsetzt oder verwundert war ich darüber nicht.
Allerdings musste ich mir fortan jedes Mal auf die Lippen beißen, wenn er großkotzig mit irgendeinem Geschenk bei mir auftauchte und sich aufspielte, wie großzügig und toll er doch sei.
Am liebsten hätte ich ihm an den Kopf geworfen, das eh wir Frauen selbst unsere Geschenke zahlen und die sowieso nur Fake sind.
Doch das verkniff ich mir.
Zu groß war die Angst vor seiner Reaktion und womöglichen fatalen Folgen für mich, wenn ich mich mit ihm anlegte.
Aber innerlich war es ein Gewinn für mich, ihn entlarvt zu haben und genau zu wissen, wie widerlich seine Selbstinszenierung doch in Wahrheit ist.
Hinzu kam seine alljährliche Musterung meines Körpers.
Dann musste ich mich nackt vor ihn stellen, mich drehen und begutachten lassen, ob ich noch gut genug für den Markt bin oder irgendein Beautyeingriff notwendig.
Abartig und menschenverachtend.
Immerhin war ich die Weihnachtsfeiertage dann sicher vor ihm.
Diese Zeit verbrachte er nämlich im Kreise seiner Familie und ich musste nicht wie sonst damit rechnen, dass er unangemeldet vor meiner Tür stand.
Absurd und voller Hohn waren Weihnachten allerdings auch die Anfragen vieler Freier.
„Das ist doch das Fest der Liebe. Gibt es da denn keinen Rabatt?“
Jedes Mal zog sich in mir alles zusammen und mein Ekel wurde noch größer.
Wie können Freier das, was Prostituierte tun, mit Liebe in Verbindung bringen?
Ernsthaft?
Und das Schlimmste war, das ich auf solche Anfragen auch noch möglichst charmant antworten musste, um keinen Freier zu Vergraulen.
Jahr für Jahr fiel mir das sichtlich schwerer.
Und so kam es auch, dass ich das Weihnachten vor meiner Flucht so gut wie gar nichts einbrachte, da ich lediglich im Bett dahinvegetierte und Telefon und Türglocke schlichtweg ignorierte.
Ein Umstand, der mir nach den Feiertagen mächtig Ärger einbrachte.
Doch das war mir egal. Ich war mir egal.
Das Milieu hatte mich längst gebrochen.
Da war nichts mehr, ich spürte nichts mehr und jeder Tag glich dem anderen.
Weihnachten hatte längst schon seinen Zauber aus den Kindertagen verloren.
© Jara Anouk - 2023
Titelbild:
445693 auf pixabay, Bildbearbeitung: Pani K.