von Ronja
Liebe Freundinnen und Freunde,
hinter unserem heutigen Türchen findet ihr einen Text zum Thema Selbstbestimmung und Prostitution.
Anmerkung:
Dieser Text behandelt „nur“ die eher „oberflächlichen“ Dinge, die Frauen – ohne eigene, freie Entscheidungsgewalt – in der Prostitution mit ihrem Körper anstellen (lassen) müssen.
Die Unmöglichkeit, gewisse Praktiken abzulehnen, der viele ausgesetzt sind und die körperliche Gewalt durch Freier und Zuhälter fand hier noch nicht einmal mehr Platz. Aber darüber schreiben wir ja oft an anderer Stelle und ich wollte einmal aufzeigen, wie enorm und schädlich bereits diese vermeintlichen „Oberflächlichkeiten“ in Bezug auf „My body, my choice“ wirklich sind und diesen Satz als vermeintliches Argument gegen das Nordische Modell ad absurdum führen.
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My body, my choice!?
Autorin: RonjaIn der Argumentation gegen das Nordische Modell und damit der Eindämmung der Prostitution, findet sich oft das Argument, dass dies die Selbstbestimmung der Menschen in der Prostitution beschneiden würde. Dabei fällt oft ein berühmter Satz: „My body, my choice!“
Dieser Satz ist absolut richtig und wichtig. In vielen vergangenen und aktuellen emanzipatorischen Kämpfen für Frauenrechte zeigt er auf, wie sehr die freie Entscheidungsgewalt über unsere Körper durch patriarchale Kräfte beschnitten wurde und auch heute noch nicht erreicht oder wieder in Gefahr ist.
Aber in der Prostitution?
Wer hat da wirklich die Entscheidungsgewalt?
Ja, es mag die etablierten Escorts geben, die relativ selbstbestimmt über ihr Erscheinungsbild und ihre angebotenen Praktiken bestimmen können.
Die Regel in der Prostitution ist das aber bei Weitem nicht. Für mich und ALLE der unzähligen Frauen, die ich damals und heute, sowohl in der Prostitution als auch als Überlebende, kennenlernte, galt dieser Satz nicht.
„My body, my John's choice“ und „My body, my pimp's choice“ waren da angesagt.
Diäten, Maßnahmen für einen möglichst jungen und straffen Körper, unbequeme und Klischee-bedienende „Arbeitskleidung“, ständige Enthaarung, sogar chirurgische Eingriffe.
Hungern, zupfen, cremen, bleichen, anmalen, übermalen, quetschen, schnüren, stöckeln, k*tzen (so viele von uns waren in der Bulimie oder Magersucht), schnupfen, schlucken, spritzen (so viele von uns waren ebenfalls in der Sucht, um das täglich zu ertragen).
Raubbau und Betäubung und immer wieder von vorn.
Das sind Schlagworte, die rückblickend für mich diese Zeit beschreiben und die ich heute noch überall in der Prostitution sehe. Nicht als eigene Wahl über den eigenen Körper. Sondern dank der Traumata, des Drucks, den Freier und/oder Zuhälter ausüben und der Angst, nicht mehr „konkurrenzfähig“ zu sein, wenn man sich all dem nicht unterwirft.
Und dann ist da noch die Menstruation. Viele von uns griffen und greifen zu Schwämmen, die man sich tief einführt, um während der Menstruation nicht pausieren zu müssen, oder bedienen Freier mit einem entsprechenden Fetisch.
Penetration durch Fremde unter Krämpfen und allem, was diese Zeit des Monats mit sich bringt.
Oder nehmen jahrelang die Pille durchgängig. Auch ich habe das gemacht, unter anderem auch aus dem Grund, mir keine Sorgen machen zu müssen, dass meine Menstruation mir bei der Terminvereinbarung in die Quere kommt. Meinen natürlichen Zyklus lerne ich jetzt erst mit weit über 30 seit einigen Jahren kennen.
My body, my choice? Nein. Gab es dahingehend nicht.
Von selbstbestimmter Familienplanung und Schwangerschaften in körperlicher, seelischer und finanzieller Sicherheit brauch ich gar nicht erst anfangen, ihr könnt es euch aber sicherlich denken.
Krankheiten, manchmal sogar akut oder unbehandelt lebensbedrohliche Zustände, werden regelmäßig ignoriert und verschleppt. Aus Angst vor unmöglich verkraftbarem Verdienstausfall, dem Zuhälter und/oder weil oft gar keine Krankenversicherung besteht.
Perfide daran ist, dass diese Entscheidungen, die eben nicht bei uns, sondern bei Freiern und Zuhältern liegen, die Abwärts- und Abhängigkeitsspirale, wegen derer viele gar keine Ausstiegsmöglichkeit mehr sehen können, verstärkt.
Geld kommt zwar rein, aber einen großen Teil muss man schon wieder investieren, um aufgehübscht und jugendlich aussehend zu bleiben. Einmal hatte ich mit einer älteren Prostituierten gesprochen, als wir beide am selben Ort anschafften, schönheitschirurgisch auf den Typ „Barbie“ getrimmt. Sie war todunglücklich über ihre riesigen, gemachten Brüste. Aber sah keinen anderen Weg, um in ihrem Alter ihre Nische zu verteidigen und damit ihren Lebensunterhalt noch ein paar Jahre zu sichern. Dabei war die Brust-OP noch nicht mal komplett abbezahlt, also war an sowas wie Altersvorsorge eh nicht zu denken.
Am Ende stehen viele von uns da und hassen ihren Körper. Ganz egal, wie er aussieht und wie wir ihn aushungern, verändern und quälen mussten, um zu bestehen.
Denn Freier halten nicht hinterm Berg, wenn ihnen etwas nicht gefällt, wenn etwas zu schlaff oder zu dick oder zu behaart für ihren Geschmack ist. Sie sagen es dir ins Gesicht während du nackt und völlig schutzlos und verletzlich bist. Das brennt sich in die Seele.
Und auch in Freierforen werden Frauenkörper auf verachtende Weise be- und abgewertet.
Das führt sogar zu solchen Überlegungen durch Freier, dass eine zahnlose Frau (z.B. als Folge von Drogenkonsum und/oder fehlendem Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung) zwar ästhetisch nicht den Ansprüchen entspricht, aber ein „Erlebnis“ für Oralverkehr bieten würde.
Und überhaupt gibt es auch Freier, die statt stereotyper misogyner „Schönheitsideale“ nach dem genauen Gegenteil suchen. Frauen, die körperlich stark von Drogenkonsum, Obdachlosigkeit oder Essstörungen gezeichnet sind.
Schließlich wissen wir, dass sexuelle Übergriffe – und nichts anderes geschieht in der Prostitution meist – nichts mit der angeblichen Bürde des angeblich ach so unkontrollierbaren männlichen Sexualtriebs zu tun hat.
Sondern mit Macht.
Und diese Macht manifestiert sich auch als Macht des Mannes über den weiblichen Körper, seiner Zerstörung oder seiner Umgestaltung.
Die einen geilen sich an einem bereits sichtlich geschundenen Körper auf. Die anderen an einem Körper, der regelmäßig unnötige Eingriffe aushalten muss um auf dem „Markt“ zu bestehen.
Oder an Körpern, die altersmäßig denen ihrer eigenen Kinder oder gar Enkel entsprechen.
Heute könnte ich also heulen aber muss beinahe trocken lachen, wenn ich höre, dass „Sexworker“ sagen: My body, my choice!
Heulen und lachen auch deshalb, weil ich das damals jahrelang selbst so gesehen habe. Vor lauter Normalisierung von Prostitution und den misogynen Ansprüchen, die sie an meinen Körper gestellt hat, wusste ich überhaupt nicht, was „MY choice“ eigentlich sein sollte und habe den male gaze und die Ansprüche der Freier für meine eigene Wahl gehalten.
Ich konnte überhaupt nicht sehen, was ich meinem armen Körper alles angetan habe.
Heute behandele ich meinen Körper liebevoll und so völlig anders, weil kein Mann mir mehr diktiert, wie er auszusehen hat damit ich überleben kann.
„My body, my choice“ ist meine Gegenwart.
Die Vergangenheit in der Prostitution war das Gegenteil davon!
Mein eindringlicher Appell lautet daher: lasst uns die enorme Nachfrage und damit Menschenhandel und Zuhälterei endlich eindämmen und Betroffenen echte Ausstiegsperspektiven geben. Damit auch sie die Chance haben zu lernen, wie sich die wirkliche Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper überhaupt anfühlen kann.
My body, my choice! Aber bitte nicht patriarchal verdreht und zur Rechtfertigung von tagtäglicher Ausbeutung unzähliger Frauen und ihrer Körper missbraucht!
© Ronja - 2023
Titelbild:
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