von Ronja
Liebe Freundinnen und Freunde,
hinter unserem heutigen Türchen findet ihr einen Text über den Taschengeld-Begriff, der sich auf vielen Portalen als makaberer Euphemismus für Prostitution etabliert hat.
Hinweis: manche Begriffe in Anführungszeichen geben die Wortwahl von Freiern wieder und sind Begriffe, die die Autorin selbst ablehnt.
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Autorin: Ronja Heute geht es um „TG“ - die gängige Abkürzung für „Taschengeld“, die man in vielen Annoncen zur Prostitutionsanbahnung findet.
Auf der Plattform, auf der ich früher oftmals meine eigenen Freier gefunden habe, ergibt die Suche nach TG unter der Kategorie „Erotik – Er sucht Sie“ derzeit über 13.000 Treffer.
Dieses Kleinanzeigenportal beschränkt sich übrigens nicht auf sogenannte Erotik, sondern es gibt vom Autoteil über Konzerttickets bis zur Nachmietersuche wirklich alles dort.
Das heißt, diese Seite ist für alle Menschen, auch Kinder, völlig barrierefrei abrufbar. Auf der Erotik-Startseite gibt es zwar den Hinweis, dass die folgenden Inhalte nur für 18+ geeignet sind und dass Nutzer „verdächtige Anfragen“ bitte melden sollen. Aber es ist davon auszugehen, dass es den Betreibern hier nicht um Kinderschutz oder die Schicksale von Zwangsprostituierten geht, sondern man die minimalen Anforderungen erfüllen will, um im Fall der Fälle nicht haftbar gemacht zu werden.
Nun finden sich dort also jeden Tag dutzende neue Anfragen von Freiern, die Frauen „gegen TG“ suchen, zum Teil werden bereits in den Texten verstörende Wörter wie „Kehlenf*ck“ (war am 3.12., als ich diesen Text schrieb, ein Ergebnis ziemlich weit oben in der Trefferliste) oder detaillierte sadomasochistische Praktiken offen benannt.
Wieso nun aber „Taschengeld“?
Ein Taschengeld wird normalerweise schutzbefohlenen Menschen, die wirtschaftlich nicht selbstständig, sondern von einem abhängig sind, gezahlt.
Oder, kurz: Kindern!
Das allein macht diesen Begriff im Zusammenhang mit Prostitution makaber.
Und dennoch habe ich selbst ja damals vor allem sogenannte „TG-Dates“ gehabt und habe mir selbst damit auch etwas vorlügen können. Denn: für manche Frauen mag dieser Begriff die Hoffnung aufrechterhalten, dass man sich nur vorübergehend, in einer besonders schwierigen Phase, prostituiert und das nicht etwa seinen „Beruf“ nennen kann und will. Auch ich habe mir das immer und immer wieder so eingeredet und dennoch hat es 11 Jahre gedauert, bis mir die endgültige Überwindung der Prostitution gelungen ist.
Und ab von Frauen, die sich durch solche Formulierungen daran klammern, dass das nur eine vorübergehende Notlösung wäre, inserieren und antworten unter TG natürlich auch Frauen, die diese Perspektive für sich längst verloren haben oder sich als „professionelle Sexarbeiterin“ verstehen, oder natürlich auch Zuhälter, die über TG-Annoncen Treffen für Frauen vereinbaren, die von ihnen durch Gewalt oder finanzielle Abhängigkeit zur Prostitution gezwungen werden. Das wurde mir von meinen damaligen Freiern auch bestätigt.
Damit wären wir bei ihnen, den Freiern. Warum suchen die „TG-Dates“? Wie eben erwähnt, zum Teil, weil sie eben die „Hobby-Hure“ suchen und keine, bei der der Zuhälter draußen vor der Tür im Auto wartet. Allerdings habe ich von meinen Freiern, die sich über sowas bei mir beschwert haben, nie gehört, dass sie so ein „Date“ abgebrochen und der Frau Hilfe angeboten hätten oder diese eingangs genannte Melde-Funktion auf der Plattform bemüht hätten.
Denn Freiwilligkeit interessiert sie letzten Endes doch nie, selbst wenn sie sich für das eigene Gewissen zum Teil einreden, dass eine Frau, die sich gegen „Taschengeld“ mit ihnen trifft, das Ganze noch eher nebenbei und selbstbestimmt macht als anderswo.
Denn dem ist einfach nicht so und eigentlich wissen das alle Beteiligten, tun bei einem „TG-Date“ bzw. zumindest in den Annoncen und während der Anbahnungsnachrichten, aber trotzdem so, als wenn das alles eher ein spaßiges Abenteuer wäre, bei dem Geld nur die Begleiterscheinung wäre.
Nun zwei finale Gedanken zu dem Taschengeld-Begriff:
Erstens ist er meiner Meinung nach auch deshalb noch zusätzlich gefährlich, weil er zusätzlich zu dem, was Sexkauf eh damit macht, das Frauenbild der Freier gefährlich verändert.
Sie reden sich ein, dass „TG-Dates“ ja vielleicht gar nicht so richtig Prostitution wären und dass es ein „guter Handel“ sei, weil immerhin der Sex am Ende garantiert ist.
Viele dieser Freier, da spreche ich eben auch aus eigener Erfahrung mit ihnen, gehen daher wirklich auch ernsthaft davon aus, dass Frauen, denen sie bei einem Date vielleicht eine Kinokarte und ein Getränk bezahlen, ihnen Sex dafür automatisch schuldig sei. Diese Typen bezeichnen „TG-Dates“ völlig unironisch als „ehrlicher“ und „effizienter“ als „normales“ Dating. Und weil TG-Anzeigen eben zumindest oberflächlich oftmals ein bisschen weniger Rotlichtmilieu und weniger feste Preise (und Grenzen!) suggerieren, sehen regelmäßige „TG-Date“-Freier wirklich alle Frauen wohl noch schneller und selbstverständlicher als grundsätzlich käuflich an als der Typ, der wenigstens ehrliche, ungeschönte Worte für sein Handeln nutzt.
Und zum Zweiten wird gegen das Nordische Modell ja oftmals das Argument laut, dass damit die Prostitution in den unkontrollierbaren, unregulierten Untergrund wandern würde.
Ich bitte euch, schaut euch im Internet mal um!
Die allermeisten Anzeigen auf diesen Portalen, wie ich sie damals selbst nutzte, scheren sich außer durch dieses kleine für-Absicherung-der-Betreiber eingefügte Bildchen, dass man verdächtige Anzeigen melden soll, einen Dreck um Anmeldungen, Freiwilligkeit und Legalität (auch in Hinblick auf z.B. Kondompflicht).
Und die allermeisten Frauen, die durch diese Anzeigen Freier treffen, sind aus diesen oder jenen Gründen (wie eben der Glaube, dass das nur die vorübergehende Notlösung sei und man das als TG-Ding ja eh nicht so richtig professionell macht) jetzt schon nicht angemeldet oder aber sogar auch unter Zwang durch Dritte!
Dieser „Untergrund“ ist längst da, er floriert auch dank des Mindsets der Freier und der wegschauenden Gesellschaft, die sich alle einreden, dass Prostitution ja was ganz Normales und Unproblematisches sei.
Dieser „Untergrund“ ist längst da, er floriert auch dank der paradiesischen Bedingungen für Zuhälter und andere Profiteure, die durch die enorme Nachfrage (eben auch durch abertausende TG-Anfragen auf Kleinanzeigenportalen) und quasi inexistenter Hürden viel Gewinn bei wenig Risiko sehen.
Und so manche Betroffene von Zwangsprostitution und Menschenhandel ist ja sogar nach ProstSchG angemeldet, weil der Zuhälter sie zu der Beratung schleppt und vorher so sehr unter Druck setzt, dass sie dort trotzdem nicht nach Hilfe fragt – die Tatsache, dass Prostitution in Deutschland legal ist, nutzen diese Zuhälter aus und reden den Frauen ein, dass die Behörden einem daher eh nie helfen würden. Insbesondere gegenüber Frauen aus dem Ausland ist das eine wirksame Einschüchterungsmethode.
Dieser „Untergrund“ ist längst da, aber oftmals nicht so, wie ihn sich viele vorstellen, sondern auf hellen Internetseiten, die für jedes Kind zugänglich sind, und dabei noch so makabere Begriffe wie „Taschengeld“ nutzen.
Daher fordere ich:
Weg mit „Taschengeld“ und all den anderen mies verharmlosenden Begriffen für und rund um den Gewaltakt Prostitution!
Weg mit einem politischen und gesellschaftlichen Umgang mit Prostitution, der sie beschönigt, verharmlost, Profiteure anzieht und damit so viele Opfer und Leid hervorbringt!
Nordisches Modell jetzt!
© Ronja - 2023
Titelbild:
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