Ist Unterhaltungselektronik heutzutage zu kompliziert – will sagen, erst heutzutage?
Gedanke zu Weihnachten: Heutzutage scheinen viele Angehörige gerade älterer Generationen an Unterhaltungselektronik förmlich zu scheitern. Selbst Radios sind zunehmend Digitalgeräte mit entsprechend komplexer Handhabung.
Gut, zum einen liegt es am ständigen Wandel und an „kryptischen“ Bezeichnungen. Heute™ gibt es FM, DAB+, Internetradio, Bluetooth und hastenichgesehn. Früher™ gab es UKW, Mittelwelle, eventuell noch Langwelle und mit etwas Glück auch Kurzwelle, wobei man in der Praxis eh nur die ersten ein oder zwei brauchte.
Heute™ gibt es DVB-T2, und es gibt alles Mögliche an Streaming-Kram. Früher™ gab es einfach nur Fernsehen, in der richtig goldenen Zeit sogar mit nur drei durchnumerierten Programmen. Wobei in der Zeit auch die paar wenigen Radiosender durchnumeriert waren.
Früher™ gab es auch „nur“ ganz einfache Radios, darüber noch Radiorekorder. Oma war glücklich mit dem einfachen Monogerät mit einzelnem Laufwerk, wo sie auch mal Schlagerkassetten reintun konnte. Gerade bei den Generationen vor den Baby Boomers hielten sich Kassetten noch lange.
Heute™ gibt es ganze Entertainment-Systeme, die neben analogem auch digitales Radio können und Bluetooth und so weiter, die aber ungleich komplexer in der Bedienung sind und haufenweise Funktionen haben, die es in den 70ern noch nicht gab.
Fernseher, die nicht smart sind mit haufenweise Streamingfeatures, sind ebenso ausgestorben wie analoges Fernsehen überhaupt.
Früher™ hatten solche Geräte auch schon einiges an Bedienelementen. Aber jedes Bedienelement hatte genau eine einigermaßen leicht nachvollziehbare Funktion. Displays gab es keine. Und ganz früher™ war auch noch alles schön auf Deutsch beschriftet.
Heute™ haben Geräte und/oder ihre Fernbedienungen einen Wust an Tastern mit völlig kryptischen Beschriftungen – vor allem für die, die das Bedienen von Geräten per Menü nicht gewohnt sind. Wenn Bedienelemente eingespart werden, um das Gerät billiger zu machen, sind das als erstes die Taster für Speicherplätze – kommt man ja auch per Menü ran – und als zweites, womit auch immer die Betriebsart bzw. Klangquelle gewählt wird – kommt man ja auch per Menü ran.
Der Altersbereich, der mit all dieser Technik zu einem nennenswerten Teil umgehen kann – mit oder ohne Anleitung –, ist eher schmal: nicht zu alte Generation X und nicht zu junge Millennials. Baby Boomers scheitern häufig schon am Vorhandensein von Technologien, von denen sie noch nie gehört haben. Und die Generationen Z und α können zu großen Teilen nur noch Smartphones und Smartphone-Zubehör bedienen.
So manch einer „schenkt“ sich ja selbst zu Weihnachten Unterhaltungselektronik, egal, ob das jetzt Audio oder Video ist. Nur sind die Zeiten vorbei, in denen man so etwas bei „Elektro Radio Farb-TV Schulze“ gekauft hat und Schulze dann persönlich bei einem aufgekreuzt ist, um das Gerät fix und fertig zu verkabeln und nach Kundenwunsch einzustellen. Wenn man bei Schulze eine Satellitenschüssen gekauft hat, dann waren am Ende sogar die Speicherplätze im dazugehörigen Receiver akkurat durchsortiert.
Heutzutage kauft man so etwas
- im Elektronikfachmarkt einer großen Kette, wo es viel Personal gibt, aber kaum wirklich kompetentes und schon gar keinen Kundendienst, der nach Hause kommt
- in kleineren Ortschaften in Elektrogeschäften, die Ketten wie ElectronicPartner angehören und auch keinen Kundendienst haben
- in einem der letzten verbliebenen Kaufhäuser, die Unterhaltungselektronik anbieten – zumeist Einzelgeschäfte oder regionale Miniketten –, aber auch da sind die Zeiten mit kompetentem Kundendienst lange vorbei
- beim Lebensmitteldiscounter, der überhaupt kein Fachpersonal hat – wobei wohl so manch ein Supermarktangestellter privat mehr technische Kompetenz haben dürfte als der durchschnittliche Fachverkäufer im Blödmarkt
- im Internet, und der Paketbote schließt einem den Kram nicht an und stellt ihn auch nicht ein
Klar gibt’s auch noch so Läden wie Hifiklubben. Aber das sind Läden von Geeks für Geeks, die gar keinen Kundendienst brauchen, außer wenn etwas wirklich definitiv im Eimer ist. Im Vergleich mit früher™ liegen die auf Dreiviertelweg von Schaulandt – und Schaulandt war schon eine Geek-Kette – zu spezialisierten High-End-Fachgeschäften. Wer da einkauft, erledigt sogar das Einrauschen der Anlage nebenher.
Derweil kaufen wohl vor allem ältere „Otto Normalverbraucher“ sich Unterhaltungselektronik auch deshalb kurz vor Weihnachten, weil sie auf Besuch von Kindern oder Enkeln hoffen, die ihnen das Zeug einrichten können. Wie gesagt, Enkel werden statt dessen ihren Omas und Opas sagen, sie sollen sich wie jeder normale™ Mensch einen Bluetooth-Lautsprecher holen und übers Smartphone Musik hören. Wohlgemerkt, Oma bzw. Opa hat nur ein Smartphone zum WhatsAppen, weil die eigenen Kinder drauf bestehen. Und Oma bzw. Opa wäre eigentlich mit einem guten alten analogen Transistorradio noch am besten dran.
Aber ist es heute wirklich so viel schlimmer? War es früher wirklich besser?
Nicht unbedingt.
Schon die ganz simplen Kofferradios ohne Speicherplätze gehörten zumeist Leuten, die sie sich von irgendjemandem auf ihren Wunschsender haben einstellen lassen. Und danach war das Berühren des Tuningrades bei Strafe verboten.
Das dürfte wohl auch ein Grund gewesen sein, warum Kofferradios gute Geschenke für Jugendliche waren – nämlich, damit der Filius nicht abends das Küchenradio mitnimmt und „verstellt“, also NDR 2 reindreht, um den
Club mit Wolf-Dieter Stubel zu hören, und das Radio nicht wieder „zurückstellt“ auf Welle Nord. Das heißt, wenn der Sohn tatsächlich vor den Augen der Verwandtschaft das Radio
aus dem Gedächtnis wieder auf die Frequenz von Welle Nord zurückgedreht hat, dann fiel er unter „Wunderkind“ und hätte mit dem Kunststück, eine Radiofrequenz auswendig zu kennen, bei
Wetten dass..? auftreten sollen.
HiFi-Anlagen, Fernseher, Videorekorder, Satellitenreceiver – derlei Gerätschaften haben sich wahrscheinlich mehr Leute installieren und einrichten lassen als nicht. Ganz besonders HiFi-Anlagen – wo gibt’s heute noch Gerätschaften im Bereich der Unterhaltungselektronik, die aus derartig vielen Komponenten zusammengekabelt werden müssen?
Überhaupt, Videorekorder. Diese enigmatischen, zur Hälfte völlig unbedienbaren Apparate. Unter Baby Boomern und älter galt: Zum Einstellen – egal, ob Senderspeicher oder auch nur Datum und Uhrzeit – brauchte es ein Ingenieursdiplom, zum Programmieren einer Aufnahme einen Doktortitel in Astrophysik. Wer heute nicht mal mit Anleitung ein Digitalradio in Betrieb nehmen kann, konnte damals nicht mal mit Anleitung einen Videorekorder einstellen, geschweige denn programmieren.
Ganz generell – Digitaluhren. Geräuschlos (meistens), leicht abzulesen, ohne mechanische Verschleißteile. Aber Uhren ohne Krone zum Drandrehen können nur Techniknerds stellen. Was heute™ für Uhren an Herden oder Mikrowellen gilt, galt damals™ ebenso für Armbanduhren.
Grundsätzlich kann man sagen: Die Technik ist heute anders – der Mangel an Kompetenz dafür ist aber nicht großartig anders. Höchstens kommt man heutzutage leichter an Leute, die mit der Technik umgehen können.
Zu guter Letzt: Eine Zeitlang gab es einen prima Trick, um Bedienoberflächen elektronischer Geräte einfacher zu gestalten. Speziellere, seltener benötigte Bedienelemente wurden unter einer Klappe verborgen, und nur die, die man im alltäglichen Betrieb brauchte, waren immer sichtbar. Bei Fernbedienungen für Videorekorder fanden sich unter der Klappe auch mal die Bedienelemente zum Programmieren. Da gab’s insgesamt aber ein paar mehr Bedienelemente.
Heutzutage wird deren Anzahl aber gerne von vornherein reduziert. Und das hat nichts mit einfacherer Bedienung zu tun, denn es werden bevorzugt Bedienelemente eingespart, die eigentlich die Bedienung vereinfachen würden – wie gesagt, vor allem Speicherplätze und Quellen- bzw. Betriebsartwahl. Nein, es geht vielmehr darum, die Geräte billiger zu gestalten, indem Bauteile weggelassen werden.
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