Heute mit einem persönlichen Text von Louise.
Inhaltswarnung: Ausstiegsversuche / Ausstiegshemmnisse
*****
Autorin: LouiseEs ist nicht so, dass ich nicht aussteigen will. Der Gedanke daran ist da, ständig, wie eine kleine Flamme, die nie ganz ausgeht. Aber der Weg hinaus fühlt sich wie ein Labyrinth an, mit hohen Mauern, die sich bei jedem Schritt enger um mich schließen. Jeder Versuch, eine Richtung zu finden, wird von etwas anderem blockiert.
Das Geld ist der erste große Käfig. Es gibt keine Reserven, keinen sicheren Ort, an dem ich durchatmen kann. Alles, was ich verdiene, geht entweder sofort weg – an die, die mir drohen, oder an die Rechnungen, die mich erdrücken. Ohne dieses Geld würde ich vielleicht gar nicht überleben. Doch je mehr ich arbeite, desto tiefer grabe ich mich in die Abhängigkeit. Es ist ein Teufelskreis: Ich arbeite, um frei zu werden, aber die Arbeit hält mich gefangen.
Dann sind da die Menschen, die mich kontrollieren. Manche sind subtil, andere ganz offensichtlich. Es gibt jene, die direkt von mir profitieren – Zuhälter, “Freunde”, die mir helfen wollen, aber immer nur zu ihrem Vorteil. Und es gibt die Freier, die mich immer wieder daran erinnern, wie tief ich stecke. Selbst wenn ich mich vor ihnen schütze, sind sie überall, als würden sie mich nie wirklich loslassen. Einige von ihnen wissen nicht, dass ich gehen will. Andere wissen es – und tun alles, um mich daran zu hindern. Die Drohungen sind real. Wie soll ich mich wehren, wenn ich so wenig habe?
Aber vielleicht ist das Schwierigste an alledem mein eigenes Inneres. Nach so vielen Jahren frage ich mich oft, wer ich eigentlich bin. Kann ich überhaupt noch etwas anderes sein? Ich habe keine Erfahrung in einem “normalen” Leben. Alles, was ich je gesehen habe, dreht sich um Gewalt. Und dann ist da die Scham, diese lähmende Scham. Was, wenn die Leute erfahren, was ich war? Was, wenn niemand mir je wieder in die Augen sehen kann, ohne mich zu verurteilen? Es fühlt sich an, als würde die Welt mich nie wirklich akzeptieren, egal, wie sehr ich mich bemühe.
Ich habe versucht, Hilfe zu finden. Es gibt Organisationen, das weiß ich. Aber oft wirken sie so weit weg, so unerreichbar. Es gibt Termine, Gespräche, Papierkram – und dafür braucht man eine Kraft, die ich nicht immer habe. Selbst wenn ich den ersten Schritt wage, fühlt es sich an, als würden mir die Beine unter dem Körper weggezogen, sobald ich auch nur daran denke, was danach kommt. Wo soll ich wohnen? Wie soll ich Essen bezahlen? Wie soll ich mich jemals wieder sicher fühlen?
Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, auszusteigen. Es ist, als hätte die Prostitution nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist gefangen genommen. Ich bin geprägt von ihr, definiert durch sie, und die Welt draußen scheint nicht darauf zu warten, mich aufzunehmen. Aber trotzdem halte ich an der Hoffnung fest, dass irgendwo ein Platz für mich ist – ein Leben, in dem ich nicht kämpfen muss, sondern einfach sein darf. Vielleicht liegt der Schlüssel darin, Hilfe zu akzeptieren, die ich bisher nicht sehen konnte. Vielleicht ist der erste Schritt einfach, daran zu glauben, dass ein anderer Weg möglich ist.
Bis dahin bleibt es ein täglicher Kampf, der schwerer ist, als ihn die meisten sich vorstellen können.
© Louise / Netzwerk Ella - 2024