Heute ein persönlicher Text: Kein Rückblick, sondern eine Momentaufnahme 11 Jahre nach Ausstieg.
11 Jahre.
Autorin: Nica
Es fühlt sich fast an, als würde der kalte Wind durch meine Knochen hindurchwehen. Mir ist kalt, auf der Haut, im Gesicht, meine Zehen sind taub. Und doch kann ich die Wärme in meinem Bauch spüren, die meine Organe sicher hält. Ich atme tief ein, die Luft strömt eifrig in meine Lunge. Ich atme aus, entspanne meine Schultern.
Andere Menschen sind weit und breit nicht zu sehen und nicht zu hören. Ein paar kleine, gedrungene Bäume sind hier, ein paar dunkle Sträucher. Dazwischen stehe ich. Ich stehe einfach da, die Nase Richtung Himmel gereckt, die Augen geschlossen, und genieße die Stille.
Wenn mir zu kalt wird, kann ich jederzeit nach Hause gehen, mir einen warmen Tee machen, mir etwas Schönes kochen. Später werde ich das auch tun. Und mir ein Buch herauskramen, um mich damit in die Sofaecke zu verkriechen.
Das Lächeln in meinem Gesicht spüre ich deutlich.
11 Jahre hat es gedauert, bis die Angst mich nicht mehr im Griff hat. Bis ich aufgehört habe zu denken, ich bin doch eh nur eine Nutte. Bis ich angefangen habe, zu verstehen, dass wertlos, irrelevant und falsch nicht ich bin, sondern ihre Taten.
Dass es gut ist, dass ich lebe.
Und frei bin.
Und sicher.
Es ist nicht alles perfekt und schlechtere Tage werden bestimmt kommen. Aber das macht nichts. Warum?
Weil ich irgendwo in der Ferne einen Vogel höre, der gerade ein neues Lied angestimmt hat.
Und mich nichts und niemand dazu zwingt, über irgendetwas anderes nachzudenken, als über diesen leisen Vogelgesang.
© Nica / Netzwerk Ella – 2024