
von Pani Fem
Zusätzlich zur "Evaluation des Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen" ist von Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auch ein Rechtsgutachten "Zur Freiwilligkeit in der Prostitution" am 24.06.2025 vorgelegt worden. [1]
Dazu meine kurze Kritik und Anmerkungen.
Auszug, S. 88:
Daraus lässt sich zum Beispiel für den Bereich der Armutsprostitution Folgendes ableiten: In ihrem Geltungsbereich garantiert die deutsche Rechtsordnung jedem ein Existenzminimum, für dessen Sicherstellung staatliche Leistungen bereitstehen. Können diese in Anspruch genommen werden, besteht der Preis für einen Verzicht auf die Prostitution hier nicht in einem Leben unterhalb des Existenzminimums, sondern in einem eventuellen Verzicht auf einen Lebensstandard oberhalb des Existenzminimums. Dieser Nachteil ist zu dulden und begründet folglich keine faktische Unmöglichkeit einer Entscheidung gegen die Prostitution. Diese Entscheidung wird dann vielmehr im Rechtssinne freiwillig bzw. selbstbestimmt getroffen. Ist hingegen das Existenzminimum bei einem Verzicht auf die Teilnahme an der Prostitution nicht sichergestellt, kommt es auf das Zustandekommen dieser Situation an. Bestehen zum Beispiel nur deshalb keine Ansprüche auf Sozialleistungen, weil die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, muss dies als Nachteil geduldet werden.
Im Klartext: Wer trotz Armut kein Bürgergeld bekommt, soll Hunger und Obdachlosigkeit hinnehmen. Wer Bürgergeld bekommt, leidet nicht unter finanzieller Not und jammert ohne Grund. Nachteile seien zu dulden.
Das ist menschenverachtend! Die Autoren des Gutachtens haben keine Ahnung von Armut in Deutschland, keine Ahnung von Realitäten in der deutschen Prostitution, und keinen Respekt vor Betroffenen und ihrem verzweifelten Kampf ums Überleben!
Wissen die Autoren nicht, dass das Bürgergeld unter dem Existenz-Minimum liegt? [2]
Dazu Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes: "Der Regelsatz deckt nicht die grundlegenden Bedarfe. Er wurde kleingerechnet und reicht nicht für eine gesunde Ernährung oder echte soziale Teilhabe. Trotz steigender Preise gibt es 2025 nicht einmal einen Inflationsausgleich."
Wissen sie nicht, dass Menschen trotz Bürgergeld hungern? [3]
Dazu die aktuelle Studie von Sanktionsfrei e.V.: "Der Regelsatz von monatlich 563 € reicht laut großer Mehrheit der Befragten (72 %) nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen. Selbst Grundbedürfnisse werden nicht ausreichend erfüllt: Nur jeder Zweite gibt an, dass in ihrem Haushalt alle satt werden; insbesondere Eltern verzichten zu Gunsten ihrer Kinder auf Essen (54 %). 28% machen sich sogar Sorgen, obdachlos zu werden."
Weiter im Text, S. 89:
Dabei ist die Problematik der Freiwilligkeit für den rechtlichen Umgang mit der Prostitution nur ein Teilaspekt. Prostitution ist nicht ohne Weiteres unbedenklich oder unproblematisch, wenn die Entscheidung dafür freiwillig getroffen wurde. [...] Insbesondere lassen sich zentrale Probleme (wie etwa das Phänomen der Armutsprostitution) nicht über die Freiwilligkeit lösen, weshalb sie auch nicht in diesen Bereich verschoben werden dürfen. Für Lösungen bietet das rechtliche Konzept der Freiwilligkeit insoweit nicht die richtigen Anschlussstellen.
In Klartext: Freiwilligkeit ist keine Rechtfertigung für Verletzungen der Grundrechte oder für Ausnutzung der Notlagen. Prostitution bleibt problematisch und gefährlich, unabhängig davon wie die Entscheidung dazu getroffen wurde.
Das hätten die Autoren in Fettschrift auf Seite 1 ihres Gutachtens setzen müssen! Damit hätten sie sich die Mühe sparen können, das praxisfremde Gutachten zur hypothetischen "Freiwilligkeit" in der Prostitution überhaupt zu schreiben.
Stattdessen hätten sie untersuchen können, ob eine Einwilligung in sexuelle Handlungen gegen Entgelt juristisch überhaupt als gültig gewertet werden darf. Oder ob eine Inanspruchnahme sexueller Dienste grundsätzlich eine Situation der Ausbeutung darstellt und welche rechtlichen und ethischen Konsequenzen daraus folgen müssen. Das ist zentral für den rechtlichen Umgang mit der Prostitution!
Dazu habe ich mich bereits im September 2024 ausführlich geäußert:
"Eine Einwilligung [in sexuelle Handlungen] ist jedoch ungültig wenn:
1. Person nicht einwilligungsfähig ist (wegen Alkohol, Drogen, Schlaf etc.).
2. Willensmangel vorliegt (wegen Irrtum, Täuschung etc.).
3. Wissensmangel vorliegt (Was wird passieren? Welche Folgen können eintreten? etc.).
4. Notlage ausgenutzt wird (Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit etc.).
5. Nötigung vorliegt (Drohung, „willensbeugende“ Gewalt).
6. Zwang vorliegt (Gewaltanwendung, „willensbrechende“ Gewalt).
7. Unverfügbares Recht betroffen ist (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit etc.).
Einvernehmen in nichtkommerzieller Sexualität ist faktisch etwas ganz anderes als in ihrer kommerziellen Variante, wo Einwilligung bloß Teil des Deals ist. Jeder oben genannte Fall ungültiger Einwilligung ist alltägliche Realität und Usus in der Prostitution. Sexuelle Handlungen gegen Entgelt sind das komplette Gegenteil einer einvernehmlichen Sexualität. Das bestätigt auch der Bericht der Sonderberichterstatterin Reem Alsalem." [4]
Fazit: Ein Gutachten, das die Realitäten der Prostitution nicht kennt, verharmlost oder ignoriert. Eine Beleidigung für Betroffene und Opfer von Prostitution und sexueller Ausbeutung. Und eine vertane Chance, die rechtliche Analyse nach geltenden Prinzipien der Rechtsnormen und Ethik vorzunehmen. Das haben andere Autoren bereits im Jahr 2023 besser gemacht. [5]
Pani Fem
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Quellen:
[1] Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Zur Freiwilligkeit in der Prostitution, Rechtsgutachten im Rahmen der Studie zur Evaluation des Gesetzes zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, 2025,
https://www.bmbfsfj.bund.de/resource/blob/266222/ea8784deb9facce667614f8da1fea49f/evaluation-prostschg-gutachten-freiwilligkeit-in-der-prostitution-data.pdf[2] Der Paritätische Gesamtverband: Bürgergeld: Regelsatz für 2025,
https://www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armutabschaffen/[3] Sanktionsfrei: Pressemitteilung zu Bürgergeld-Studie, 23.06.2025,
https://sanktionsfrei.de/assets/Pressemitteilung_Buergergeldstudie_Sanktionsfrei_2025.pdf[4] Pani K., Unaufgeforderte Stellungnahme zum Antrag der CDU/CSU Fraktion, Drucksache 20/10384, „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“, 2024,
https://netzwerk-ella.de/unaufgeforderte-stellungnahme-zum-antrag-der-cdu-csu-fraktion-drucksache-20-10384menschenunwuerdige-zustaende-in-der-prostitution-beenden-sexkauf-bestrafen/[5] Mack, Rommelfanger: Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution, 2023.
