Heute mit einer persönlichen Erfahrung:
Der Beinahe-Freier zu Weihnachten, dem ich „zu menschlich“ war...
Autorin: RonjaRückblende: Weihnachtstage im Jahr 2009.
Ich war einige Wochen vorher zum ersten Mal WIEDER in die Prostitution eingestiegen (es sollten danach noch mehrere Aus- und Wiedereinstiege folgen, bis ich 2017 endlich den kompletten Schlussstrich ziehen konnte), unter anderem, weil eine sozialarbeiterische Begleitung im Frühjahr und Sommer mehr geschadet als geholfen hat, es auch sonst einiges an behördlichem Versagen gab und nicht zuletzt, weil ich eben an die „Lösung durch selbstbestimmte Sexarbeit“ geglaubt habe...
Aber die vermeintliche Lösung Wiedereinstieg hat natürlich nichts besser, sondern vieles schlimmer gemacht. Zu Weihnachten war ich also finanziell mal wieder komplett ausgebrannt und habe direkt am 24. oder 25.12. eine neue Anzeige geschaltet und mich umgehend mit einem Typen, der schnell antwortete, verabredet.
Ich habe – für meine Freier, aber auch für mich – immer das Image der „Hobby-Escort“ gepflegt, obwohl meinen Freiern wohl auch eh immer klar war, dass das kein „gelegentliches Hobby“ sondern eine regelmäßige und, zumindest später in meiner „Karriere“, auch recht professionalisierte Notwendigkeit war.
Aber jedenfalls gab es zwar immer klare vorherige Absprachen bezüglich Summe und „Service“, aber rund herum habe ich selten genau auf die Uhr geschaut und vorher was trinken / Essen gehen und Kennenlerngespräch war bei meinen „Dates“ meist obligatorisch (nur in den letzten Jahren hab ich dann teilweise auch drauf gepfiffen und Quickie-Treffen ohne viel Gelaber gemacht, denn dieses ganze Drumherum hat einem zwar irgendwie ein vermeintliches Sicherheitsgefühl gegeben, war oft aber einfach auf einer anderen Ebene noch mal sau anstrengend...).
So also dann auch Weihnachten 2009. Wir hatten uns bei mir in der Gegend in einem Café verabredet, aber, ich glaub, es muss wegen Weihnachten gewesen sein, war das geschlossen. Also haben wir uns im Späti eine Flasche Wein geholt und sind zu mir in die Wohnung.
Tatsächlich war der „Akt“ eh auch dort geplant, das habe ich in all den Jahren nur in dieser Phase 2009/10 gemacht, danach nicht mehr, aus vielen offensichtlichen Gründen. Aber damals war das für mich, immer nach vorherigem Treffen auf neutralem Boden, noch die beste Variante sofern kein Hausbesuch beim Freier möglich war, und durch das kurze Gespräch vor dem geschlossenen Café und auf dem Weg zum Späti hab ich diesen Zeitgenossen auch als „sicher“ genug eingeschätzt.
Aber vermutlich lag hier schon der „Fehler“, also dieses Vorgeplänkel in meinem persönlichen Wohnumfeld statt im Café oder irgendwo, bei Wein und Kippen in meiner Küche. Vermutlich hat mich das als Mensch zu „real“ gemacht.
Denn beim zweiten Glas Wein und nach viel Laberei hab ich dann doch so langsam Richtung Uhr geschielt und fragte, ob wir dann nicht mal langsam tun wollten, wozu wir uns nun mal verabredet hatten..
Und dann kam was, was mir zugegeben auch nur mit diesem einen Freier ever passiert ist, aber daher blieb es auch so stark im Gedächtnis.
Da sagt er doch so in etwa (den ganz genauen Wortlaut weiß ich natürlich nicht mehr, ist immerhin 15 Jahre her, aber ich meine tatsächlich, dass vor allem auch das Wort „menschlich“ fiel):
„Sorry, aber ich glaub, ich kann das jetzt nicht mehr. Wir haben jetzt so viel geredet und du bist mir jetzt irgendwie zu sympathisch und zu menschlich geworden, das würde sich jetzt falsch anfühlen!“
Wow! Also das ist doch... bezeichnend! Das war wohl also der Typus Freier, der möglichst nicht sehen möchte, was er da mit einer ganz realen Frau mit Persönlichkeit und Emotionen macht. Sich das aber einreden wollte, weil er ja auch speziell auf meine Anzeige antwortete. Also gesucht hat er schon etwas, was den Anstrich „niveauvolle Treffen, denn Prostitution ist weit mehr als nur Sex“ hatte, womit gewisse Nischen der Prostitution ja gern verteidigt werden.
Und genau das hat ihn dann aber davon abgehalten, das durchzuziehen.
Nun könnte man meinen: Ist doch nett, dass er auf den letzten Metern sowas wie Einsicht in die Menschlichkeit seines Gegenübers und Skrupel entwickelt hat!
Aber Nein!
Denn vielleicht ist er ja dann ein paar Tage später (oder gar noch am selben Abend) zu einer gegangen, mit der er sich den Wein und das Gespräch gespart hat und deshalb durchziehen konnte. Denn so klang es für mich auch eher, statt nach einer wirklich reflektierten Einsicht über das, was wir da zu tun eigentlich mal im Begriff waren.
Und zugegeben: ich selbst konnte das ja damals auch nicht so wie heute reflektieren. Für mich war das damals einfach der größte Stress und vergeudete Zeit und eine große gefühlte Ungerechtigkeit. Er hatte mir „netterweise“ dann zwar noch eine Packung Kippen und einen Zwanziger da gelassen, aber die Januar-Miete, die ich auch noch nicht in der Tasche hatte, lauerte um die Ecke. Also musste ich am Tag danach gleich das nächste Treffen klar machen, also mich auf den nächsten wildfremden Typen einlassen, was ich mir ohne seinen Rückzieher zumindest an den Feiertagen erspart hätte. Und nur das war in dem Moment damals für mich der große Mist daran, nicht etwa irgendeine Reflexion über das Frauenbild von Freiern...
Bis zu meinem nächsten Ausstiegsversuch hab ich dann aber auch versucht, mich weniger authentisch, sympathisch – „menschlich“ – zu geben, aus Angst, dass mir sowas noch mal passiert. Also ich mir wegen Authentizität, Sympathie und Menschlichkeit nochmal die lebenswichtigen Einnahmen versaue...
Bei späteren Wiedereinstiegen habe ich dann versucht, diese Gratwanderung zwischen „Hobby-Image“-Nahbarkeit /Authentizität / Sympathie und trotzdem noch „Fuckability, für die Mann sogar ordentlich Geld ausgibt“ zu perfektionieren – zu so hohen Kosten für meinen Körper und meine Psyche, mit so vielen schädliche Coping-Mechanismen, die dafür nötig waren..
Aber dieses Weihnachten 2009 werde ich daher nie vergessen.
„Zu menschlich“!
Ja, schönen Dank auch, Freierschaft – das habt ihr mir immerhin nie genommen!
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